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DER INTERREGIO
„In den Jahren 1975/76 und ab 1982 konnte der Verfasser an der Entwicklung konsequenter Marketingstrategien für den Personenfernverkehr der DB mitwirken. Im Umfeld wachsender Konkurrenz im Verkehrsmarkt wurden Markenartikel konzipiert, die das seinerzeit diffuse und unqualifizierte Angebot an D-, E- und Nahverkehrszügen ersetzen sollte. Dabei waren die Angebote in allen ihren Merkmalen auf deutlich strukturiertere Marktsegmente auszurichten: - der InterCity/EuroCity, in Weiterentwicklung später als ICE, auf das Segment der zeitsensiblen Reisenden, die für ihre Zeit-, Komfort und Servicemerkmalen einen hohen Preis zu bezahlen bereit sind, - der InterRegio auf das große Marktsegment der preissensiblen Reisenden, die aufgrund ihres Einkommens meist nur mittlere Entfernungen nachfragen und vor allem Direktverbindungen mit niedrigen Preisniveau wünschen, - der RegionalExpreß als 'Sprinter' zur Erschließung der Regionen und deren Anbindung an die Verdichtungs- und Ballungszentren mit starker Ausrichtung nicht nur auf Pendler und Schüler, sondern auch auf den Einkaufs- und Freizeitverkehr, - die Regionalbahn als alle Orte bedienendes Standardprodukt.
Darüber
hinaus waren der FD (FernExpreß) mit
Cafe und Kinderland für weite Freizeitreisen, ein
UrlaubsExpreß, in dem Pkw mitgeführt werden können, und andere Angebote
geplant. Für jedes dieser Produkte wurden unter Federführung des Design-Centers
der DB ein Corporate Design, spezielle, auf die entsprechenden Marktsegmente
ausgerichtete Zugfarben, Interieurs, Servicekonzepte sowie
Kommunikationsstrategien entworfen. azu kam die
Konzeption von Verkehrslinien, wofür alle Produkte das in der Schweiz
entwickelte Konzept 'Integrale Taktfahrpläne' vorgesehen war: jede
relation sollte stündlich, möglichst in
Direktverbindung, falls notwendig gegebenenfalls mit minimalen Umsteigezeiten
angeboten werden. Mit einem produktbezogenen Preissystem sollten die
differenzierten Wünsche des hohen Anteils an Privatreisenden und dem kleinen
Anteil an Geschäftsreisenden erfüllt werden. Planung und Realisierung
Zur
detaillierten Planung und Realisierung wurden in der sonst hierarchisch
strukturierten Bundesbahn Projektgruppen eingerichtet, die mit 'Teamarbeit' die
zur Lösung der vielfältigen Probleme weitreichenden
Innovationen schufen. Desweiteren wurde mit
Projektleitern und Intrapreneuren Inseln
unternehmerischem Handels geschaffen. Dies war
insgesamt erfolgreich, so gelang es doch, trotz der vielfältigen Restriktion
einer Behördenverfassung den Negativtrend sinkender Umsätze zu stoppen und
beachtliche Zuwachsraten im schwierigen
Presonenverkehrsmarkt zu erreichen. Der InterRegio
Der IR
wurde nach intensiven Marktanalysen ab 1988 eingeführt: er sollte den weitgehend
verlorengegangenen Markt derjenigen Kunden
zurückgewinnen, die - ein Standard-Produkt zu vergleichbar günstigen Preisen - einen preiswerten Service bei den hier präferierten Reisen über mittlere Entfernungen und - Direktverbindungen wünschen, da sie das Umsteigen vermeiden wollen.
Dazu wurde
ein Markenartikel mit prägnantem Profil und vielen Innovationen geschaffen:
- Die Züge verkehren auf Linien mit 2-Stunden-Takt an allen Tagen - Das IR-Netz kann mit über 300 Systemhalten weit mehr Direktverbindungen anbieten als das IC-/EC-Netz (mit seinerzeit 30-40 Systemhalten) - Es wird mit 200 km/h Höchstgeschwindigkeit eine mittlere Reisegeschwindigkeit von über 80 km/h erreicht.
Die Züge
haben eine durchgängig qualifizierte Ausstattung mit - 1. Klasse-, Service-, 2. Klasse-Wagen in Blockzugbildung - differenzierte Ausstattung, die den Kunden Wahlmöglichkeiten zwischen Abteilen, Großräumen, Vis-a-vis- und Reihensitzanordnungen bieten, mit Tischen, Kindersitzen, Garderoben, Gepäckstellfächern und -schließfächern - behindertengerechtem WC, Rollstuhlplätzen, Fahrradabteil - qualifiziertem Service mit frisch zubereiteten Speisen und Getränken in einem Bistro-Cafe.
Die weitreichenden Marketinganforderungen sollten mit niedrigem Kostenniveau realisiert werden, weil die ICE-Züge nur mit hohen Kosten machbar waren und daher ein Preisniveau erforderten, das die Mehrzahl der Kunden nicht akzeptieren konnte. Um die Investitionskosten niedrig zu halten, wurden von einer neu gegründeten Planungsgesellschaft für die erforderlichen Reisezugwagen ein umfassendes Umbauprogramm im arbeitslos gewordenen DB-Ausbesserungswerk Weiden initiiert. Auf dem Werksgelände entstand eine hoch innovative Fertigungsstätte, die als PFA GmbH binnen weniger Jahre über 1200 InterRegio-Fahrzeuge aus vorhandenen D-Zug-Wagen der DB erzeugte. Die Investitionskosten betrugen dabei weniger als 15'000 DM/Sitzplatz; unter Einschluß des Servicewagens und des Triebfahrzeuges kostete ein IR-Zug etwas 30'000 DM/Sitzplatz - weniger als die Hälfte, die ein Platz im ICE1 kostete.
In der Kooperation des Design-Centers der DB, den Ingenieuren und Designern der PFA, dem Büro BÜR in Stuttgart und des Farbengestalters Fritz Fuchs aus Schweden entstand ein Interieurs, die hervorragende Kundenurteile erreichte und damit wesentlich zum Markterfolg der Marke IR beitrug. Die ersten Linien wurden mit qualifizierter PR-Arbeit eröffnet; innerhalb kurzer Zeit wurden hervorragende Umsatzsteigerungen erreicht (z.B. 27,8% von 1988 bis 1989 auf der Linie Kassel-Konstanz bei gleichem Zugkilometer Angebot). Die zuvor eröffnete IR-Linie Hamburg-Kassel erreichte so hohe Fahrgastzahlen, daß das Zugangebot gegenüber der ursprünglichen Planung verdoppelt wurde - dies trotz der Konkurrenz des hier stündlich verkehrenden ICE. Diese Erfolge bestätigten die Marketingstrategie, daß mit differenzierten und qualifizierten Angeboten - gegebenenfalls mit ICE und IR auf gleichen Streckenabschnitten - eine gute Markterschließung möglich und Marktanteile von 30% erreichbar sind. Der durchschnittliche Marktanteil der DB beträgt demgegenüber nur etwa 7%.
Die weitere Entwicklung der Bahn Der InterRegio erreichte das geplante Umsatzvolumen von 1,1 Mrd. DM, allerdings auf einem wegen der Wiedervereinigung erweitertem Netz auf zur Zeit 22 Linien, von denen einige jedoch nur im 4-Stunden-Takt bedient werden. Für dieses weitverzweigte Liniennetz wäre ein deutlich höheres Umsatzvolumen erforderlich: Das Produkt IR fährt daher gemäß der DB-internen-Kostenrechnung mit Verlust ! Die Ursachen für die mangelhaften Umsatzentwicklung sind evident: Die PR-Aktivitäten und die Kommunikation zum Markt wurden fast völlig eingestellt; die Produktqualität wurde vielfach nicht realisiert, vor allem, weil:
- der Servicewagen in vielen Züge fehlt, - unveränderte Fahrzeuge aus DDR-Zeiten, die in krassem Gegensatz zum Niveau des IR-Interieurs standen, eingesetzt werden, - der produktspezifische 2-Stunden-Takt in Teilen des Netzes fehlt, - die Reisegeschwindigkeiten auf manchen Linien unzureichend sind, - die Reaktionen auf Preisaktivitäten des Nahverkehrs nicht ausreichen (erst im Herbst 1998 gab es ein Sonderangebot für den IR) und
-
Produktpflege und Weiterentwicklung unzureichend waren.
Trotzdem
wuchs der IR-Umsatz in den vergangenen Jahren; dagegen sanken die Umsätze der
ICE- und IC-Züge je Zugkilometer. Insgesamt verringerte sich das bei der
Bundesbahn initiierte Wachstum im Personenverkehr nach Gründung der DB AG; seit
1996 verringerte sich sogar die Leistung gemessen an Personenkilometern trotz
massiver Investitionen und gesteigerter Produktion von Zugkilometern. Diese
Entwicklung bestätigt den immer wieder von Marktforschern ermittelten
Sachverhalt, daß etwa zwei Drittel der
Marktteilnehmer die Verkehrsmittelwahl vom Preisniveau abhängig machen und nur
ein Teil der Kunden bereit ist, für kürzere Reisezeiten höhere Fahrpreise zu
bezahlen. Dazu kommt, daß aufgrund der geringeren
Anzahl der Halte von Hochgeschwindigkeitszügen ihre Attraktivität wegen
notwendigen Umsteigens für einen Teil der Fahrgäste reduziert ist. Dies sind
Ursachen dafür, daß in stark gefragten Relationen
der DB sowohl ICE- oder IC-Züge und parallel fahrende IR-Züge gute Auslastungen
haben: Hohe Marktanteile werden nur dort erreicht, wo spezifische Angebote für
die unterschiedlichen Marktsegmente geschaffen werden !
Die internationale Entwicklung
Andere
europäische Bahnen stellten aufgrund ähnlicher Marktgegebenheiten vergleichbare
Planungen an und führten in vielen Fällen ähnliche Produkte ein wie die DB mit
dem InterRegio. Die Bahnen der Schweiz, Belgiens, Schwedens und Dänemarks
führten für diese Angebote auch den Markennamen IR ein. Wesentlich für den
Erfolg verantwortlich sind die Marketingstrategien, die Produktgestaltungen und
die Qualitätsmerkmale im täglichen Betrieb. Hier bieten manche Bahnen inzwischen
vorbildliches. Die in ihrer Größe mit der DB vergleichbaren Bahnen Europas
schafften damit in den vergangenen Jahren gute Zuwachsraten im Personenverkehr.
Aktuelle Planungen der Bahn
Um in
Anbetracht sinkender Absatzleistungen die Wirtschaftlichkeit im
Personenfernverkehr herzustellen, plant die DB, bereits zum Sommer 1999 Teile
des IR-Netzes aufzugeben, vor allem in den Relationen Aachen - Berlin Mannheim - Stuttgart
Stuttgart - München Die Nachteile - entfallende Direktverbindungen - verlorengehende Anschlüsse - längere Reisezeiten und Umsteigeverbindungen - höhere Fahrpreise - geringere Wahlmöglichkeit für die Kunden
werden unvermeidlich die Wettbewerbsfähigkeit der
Deutschen Bahn AG weiter schwächen und daher nach Einschätzung des Verfassers zu
weiteren Verlusten an Marktanteilen und Umsätzen führen. Dabei wird
möglicherweise die Reise & Touristik AG (vormals DB Fernverkehr) ihr
betriebswirtschaftliches Ergebnis durchaus verbessern; wegen der hohen Anteils
an internen Kosten (Trassenentgelte, Stationskosten und anderes fehlen den
anderen DB Gesellschaften zur Deckung ihrer Kosten) könnte das Ergebnis des
DB-Konzerns durchaus verschlechtern. Die weitere Marketingstrategie
Die von der
DB Reise & Touristik beabsichtigte Strategie sieht folgendes vor: - IC Linien mit hohem Anteil an Neubaustrecken in ICE-Relationen verwandeln (A-Netz) - einen teil der IR- und IC-Linien mit ICT-Zügen auf dem Preisniveau der ICE-Züge bedienen (A-Netz mit A-Preis) - den übrigen Teil des heutigen IR- und IC-Netzes unterschiedlicher Qualitäten in Bezug auf Reisezeit, Halteabstand, Service und Fahrzeugausstattung bedienen (sog. B-Netz) - sowohl die vorhandenen IC-, als auch die meisten IR-Wagen - soweit ihre Nutzungszeiten nicht längst abgelaufen sind - als IC-Züge einsetzen.
Die Preise des A-Netzes sollen den heutigen ICE-Fahrpreisen entsprechen, die Preise des B-Netzes sollen nach dem gleichen 'Loco-Preissystem' gebildet werden, wobei der bisherige IC-Zuschlag von 7 DM gestaffelt so umgelegt wird, daß die DB gleiche Gesamteinnahmen erhält. Dies führt bei kurzen IC-Fahrten zu Preisermäßigungen; für IR-Reisende zu höheren Fahrpreisen von 1-10 DM. Wegen der Marktsituation, in der die Preissensibilität ausschlaggebend ist, wird diese Strategie grundsätzlich weitere Verluste verursachen - es sei denn, es gelänge,
a)
durch eine
extrem differenzierte Preisgestaltung mit den ICE- und ICT-Zügen auch die
Niedrigpreis-Kundschaft zu gewinnen b) die Preise für das B-System zumindest dort, wo zur Zeit IR-Verbindungen angeboten werden, auf der Basis der jetzigen IR-Preise zu bilden, das heißt hier auf die Umlegung des IC-Zuschlages zu verzichten.
In beiden
Fällen dürfte die DB nennenswerte Erlöse verlieren. Will man im geplanten
B-System zumindest gleiche Fahrgastzahlen wie im Ist-Zustand erreichen, müsste
in allen Relationen, in denen Nachteile für die Kunden entstehen, das
Preisniveauunter das des heutigen IR gesenkt werden
- auch dies würde zu Einnahmeverlusten führen. Andererseits wird es im B-System
auch Relationen geben, in denen Kundenvorteile entstehen: hier sind höhere
Einnahmen und Fahrgastzahlen möglich. Das geplante
Loco-Preissystem würde es ermöglichen, entsprechend der eigenen Leistung
und der Marktsituation die Preise neu zu gestalten. Höhere Erlöse und/oder mehr
Fahrgäste werden jedoch nur dann gewonnen, wenn
substantielle Kundennutzen geschaffen werden.
Mit der
Zusammenlegung der IC- und IR-Züge, Relationen und Fahrzeiten unter die Marke IC
entsteht das Problem, das zu Zeiten der Bundesbahn den D-Zug zu Fall brachte:
Starke Differenzen und Qualitätsunterschiede verhindern,
daß ein Markenartikel mit leicht kommunizierbaren Merkmalen angeboten
werden kann - negative Erfahrungen in einzelnen Zügen zerstören im Lauf der Zeit
das Image und machen das Produkt mehr und mehr unverkäuflich. Resüme
Die
geplante Zusammenführung der Produkte InterCity und InterRegio zum B-Netz mit
dem Produktnamen IC scheint das Angebot der DB Reise & Touristik AG zu
vereinfachen - darüber hinaus sind auch betriebsinterne Nutzen zum Beispiel
durch freizügige Fahrzeugeinsätze in allen lokbespannten
Zügen zu erwarten. Nach Einschätzung des Verfassers
entstehen in der gegebenen Marktsituation jedoch eine Reihe von
Beeinträchtigungen der Wettbewerbsfähigkeit, so daß
erwartet werden muß, daß
die DB im Personenverkehr weitere Marktanteile verliert. Mehr Verkehr auf die
Schiene zu bringen, dieses Ziel der Bahnreform scheint dem Verfasser mit der
Einführung des B-Netzes sicher nicht erreichbar zu werden!“ © "Eisenbahn-Revue International 3/99"
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